Vedanta

Eine Einführung in die Yogaphilosophie

Von Ajita Alexandra Gobrecht, veröffentlicht am , gekennzeichnet mit Yogaphilosophie und Vedanta

Buddha im Schnee

Wörtlich übersetzt heißt Vedanta Ende des Wissens (Veda=Wissen, Anta=Ende) oder auch Essenz der Veden. Diese indische Philosophie wurde in den Upanishaden, dem letzten Teil der Veden, schriftlich festgehalten. Exakt datieren lässt sie sich nicht - je nach Autor könnte sie über 5000 Jahre oder 2500 bis 2800 Jahre alt sein. Sie beschäftigt sich mit universellen philosophischen Gedanken. Heute ist sie eine der populärsten Philosophierichtungen Indiens. Der Gelehrte und Philosoph Shankaracharya (788 - 820 n. Chr.) machte Vedanta bekannt. Die Upanishaden wiederum sind eine Sammlung philosophischer Schriften des alten Indiens - die ältesten der 108 Upanishaden wurden ca. 800 v. Chr. verfasst.

Advaita Vedanta

Innerhalb des Vedanta gibt es verschiedene Richtungen. Der Einfachheit halber wollen wir uns mit der heute bedeutendsten beschäftigen: dem Advaita Vedanta. Advaita heißt Nicht-Dualität, Nicht-Zweiheit (wörtlich A=ohne und Dvaita=Dualität). Und damit sind wir auch schon mittendrin im Kerngedanken dieser Philosophie: Advaita Vedanta führt die Welt, das Leben, alles auf ein einziges Prinzip zurück: Die individuelle Seele (Atman) und das Absolute, das Universum (Brahman) sind eins. Du fühlst Dich zwar getrennt von der Welt, von anderen, aber letztlich bist Du eins mit allem. Man kann das über philosphische Schlussfolgerungen herausfinden, viele erfahren es aber auch in der Meditation. Die Unterschiede zwischen mir und meinen Mitmenschen, zwischen mir und den Tieren, zwischen mir und der Welt werden kleiner. Ich empfinde dann mehr Empathie für andere Wesen, kann mich eher in sie hineinversetzen. Natürlich heißt das nicht, dass ich alles gutheißen muss, was andere tun. Aber ich kann vielleicht angemessener auf ihr Verhalten reagieren.

Ziel des Advaita Vedanta ist es, sein wahres Selbst zu erkennen, welches eins mit allem ist, die Illusion zu überwinden, ein getrenntes Individuum zu sein. Laut Vedanta ist unsere individuelle Seele die Gleiche wie die Weltseele, sie ist eins mit der höchsten metaphysischen Realität.

Praktische Bedeutung von Vedanta

Und was bringt mir das? Jeder strebt nach dem einen großartigen, unveränderlichen, unendlichen, ewigen Glückszustand. Wenn ich erstmal wieder in die Jeans reinpasse, die ich mit 21 getragen habe und mir und meiner Familie dieses Traumhaus gebaut habe, dann ist alles gut. Oder nicht? Vedanta sagt: Glückseligkeit kann nur von einem Seinszustand kommen, der unveränderlich ist, der nicht dem Wandel unterworfen ist. Die Jeans wird sich abnutzen, verändert sich also. Das Traumhaus wird im Laufe der Jahrzehnte auch verfallen, dann müssen die Fenster neu gestrichen werden, die Heizung muss ausgetauscht werden und so weiter. Es verändert sich. Und ich selbst? Mein Körper, meine Gefühle, meine Gedanken? Verändern sich ständig!

Glück erfahre ich im Unveränderlichen. Aber was ist denn überhaupt unveränderlich? Das herauszufinden, das zu erfahren, darum geht es. Dafür muss man alle Muster, alle Denkgewohnheiten, alle falschen Vorstellungen auflösen, vielleicht sogar alle weltlichen Wünsche aufgeben.

Laut Vedanta kommt all unser Leiden aus diesem Irrtum, dass ich mich getrennt fühle vom Rest. Sobald ich die Einheit allen Seins erkenne, fühle ich eine tiefe, ruhige und gelassene Glückseligkeit, Freude und Liebe, eine intuitive Weisheit. Früher im alten Indien war das auch das Ziel des Yoga: Sein wahres Wesen zu erkennen. Die Körperübungen machten nur einen kleinen Teil der gesamtem Yogapraxis aus, um diesem Ziel näher zu kommen. Sie sollten den Körper auf die Meditation vorbereiten.

Die Wolken vertreiben

Es gibt ein schönes Bild aus dem Vedanta, aus einem Sanskritgedicht, in dem ein Yogi zu sich selbst sagt:

Warum weinst du, mein Freund? Es gibt weder Furcht noch Tod für Dich. Warum weinst Du? Es gibt kein Leid für Dich, denn Du bist wie der unendliche, blaue Himmel, unwandelbar in Deinem Wesen. Wolken in allen Farben ziehen darüber hin, spielen für einen Augenblick und verschwinden. Es bleibt derselbe Himmel. Du brauchst nur die Wolken zu vertreiben.

Swami Vivekananda, Vedanta, Der Ozean der Weisheit, O.W. Barth Verlag, Neuausgabe 2010

Du kannst versuchen, das Bild zu visualisieren, wenn Dir wieder einmal eine Laus über die Leber gelaufen ist oder einfach so in einer kleinen Meditation: Ich bin der unendliche, blaue Himmel. Gedanken und Gefühle ziehen wie Wolken darüber. Aber sie verändern mich nicht. Sie ziehen vorbei. Ich bin der unendliche, blaue Himmel.

Vielleicht beruhigt sich dann Dein Atem, Dein Puls, und ein kleines, zufriedenes Lächeln huscht über Dein Gesicht.